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Der poetische Monatsrückblick - Februar 2023

Eine literarische Rückschau auf all die Februar-Dinge, die ich erlebt, gelernt und geliebt habe. Meinen poetischen Monatsrückblick gibt es immer am letzten Tag eines jeden Monats.


Der Erste Februar bringt ein Wintergewitter am Nachmittag und blaues Abendlicht. Der Regen kommt und wirft im Vorbeigehen ein paar Tränen an die Fensterscheiben. Die Nacht jedoch wird klar sein und der Mond fast voll. Sein milchig weißes Licht begleitet mich durch meinen ersten Nachtspaziergang im neuen Monat.


Am nächsten Tag werfe ich einen Blick auf meine Finanzen und verfluche eine Sekunde lang mein prekäres Künstler:innenleben. Am nächsten Tag sind die Sorgen aber vergessen, als sich die Sonne in meine Küche schleicht und das schönste Sonnenkonfetti für mich an die Wände malt.



Der Garten liegt friedlich in sonniger Kälte. Postelein, Grünkohl und Spinat haben den Winter unbeschadet überstanden. Ich bin beeindruckt von so viel grüner Widerstandskraft und wünsche ihnen fortan wärmere Tage.

Das Blau des Februarhimmels leuchtet und glänzt und ich muss an spiegelglatte Ozeane denken, oder zumindest den Cospudener See.


Am Siebten Februar schneide ich meine Haare kürzer und als ob es eine Einladung gewesen wäre, zieht ein Frost über die Dinge und schnauft und prustet, so dass ich mir beim Nachmittagsspaziergang die abgeschnittenen sechs Zentimeter zurück wünsche.



Der Frost ist trocken und lässt bizarre Eisformationen wachsen. Er kriecht in jede Ecke und das Draußen gleicht einer stacheligen himmelblauen Eishöhle. Ich denke an die Schneekönigin und Kay und Gerda. Und wie Gerda ihren Kay sucht und ihn schließlich mit ihren heißen Tränen aus den eisigen Fängen der Schneekönigin errettet und sein Herz zum Schmelzen bringt, ihn damit wieder menschlich macht. Als Kind habe ich die Langspielplatte sehr oft gehört und die Geschichte von Hans Christian Andersen ist noch immer eines meiner liebsten Wintermärchen.

Ab Abend umschmeichelt mir der Ofen die kalten Füße. Ich lese in einem Roman und wärme mich von innen mit Tee und heißer Schokolade.


Ich laufe durchs Viertel und sammle Fotos mit meiner Kamera. Politischer Protest findet in Zschocher sehr oft über Aufkleber statt. Ich knibbele klebrige Parolen von rechts außen von den Laternenpfählen und freue mich über linke Gegenrede und selbstgemalte Einladungen zur hiesigen Küfa.



Der Himmel ist an diesem Abend rosa und in den Fluchten der Häuser fängt sich eine Spätsommerstimmung, die mich versöhnlich stimmt.

Am nächsten Tag spaziere ich über den Friedhof und sammle Namen. Minna Pfau ist 1923 gestorben, sie bleibt mir im Gedächtnis.


Am Elften fahre ich mit M. in seine Heimatstadt, um den 90. Geburtstag seiner Großmutter zu feiern. Auf dem Weg sehe ich einen ausgebrannten LKW am Plagwitzer Bahnhof, ein rosa Fahrrad, das in einer Efeuhecke in luftigen Höhen hängt, eine (leider dauerhaft geschlossene) „Quark- und Snackbar“ und ich frage mich, in welcher Form dort einmal Quark an die werte Kundschaft gebracht wurde: im To-Go-Becher? Süß, in der Waffel? Herzhaft in der Kartoffel? Versteckt unter Apfelmus in Keulchenform?



Im Restaurant essen wir à la carte und die Kellnerin macht das obligatorische Gruppenfoto, auch mit dem alten Fotoapparat der Oma, der verdächtig still bleibt, als das Bild ausgelöst wird.


Zurück in Leipzig packt M. seine Wanderschuhe ein und fährt für eine Woche in die albanische Hochebene, vorher besuchen wir bei unserem Abschiedsspaziergang meinen Lieblingsbaum. Es bräuchte vier Armlängen, um den Baumstamm einmal umfassen zu können und ich grüble wie alt diese wunderbare Linde wohl sein mag. Wie immer, wenn ich in ihrer Nähe bin, durchströmt mich eine große innere Ruhe. Wenn es ein Baum durch 100 Jahre Leben schafft, werde ich es sicher auch können.



In den nächsten Tagen scheint die Sonne so verheißungsvoll, dass ich mich überanstrenge, zu viel und zu schnell bin und mir einen Infekt einfange. Ich bin am Boden zerstört, denn das kommende Wochenende sollte eigentlich das immer größer werdende Loch in meinem Geldbeutel stopfen. Doch für das Workshopwochenende bin ich zu schwach, also sage ich ab.

Ich verbringe ein paar missmutige Tage im Bett bis M. wieder da ist und seinerseits eine Erkältung aus Albanien mitbringt.

Hustend und schnaubend gehen wir uns in der kleinen Wohnung so gut es geht aus dem Weg und gesunden sehr langsam. Als die abendliche Filmauswahl auf „Sharktopus vs. Whalenado“ zu fallen droht, beschließe ich, dass ich wieder gesund bin.


Ein paar abendliche Sonnenstrahlen locken mich aus der Wohnung und mein Mut wird mit einem persimonenorangenem Sonnenuntergang belohnt.



Am Zweiundzwanzigsten bin ich wieder fit für die Physiotherapie, die ich für meinen verspannten Nacken und den nervtötenden Tinnitus verschrieben bekommen habe. Auf dem Weg zur Praxis finde ich ein Lächeln, lilablaue Krokusse und wippende Schneeglöckchen.


Ein paar Tage später ist mein Frühlingshype auch schon wieder vorbei und M. und ich kämpfen uns, angestrengt spazierend, durch den grauesten aller Graupelschauer. Gute Laune habe ich trotzdem, denn während ich krank war, habe ich meinen Pussy Hat fertig gestrickt und recke ihn nun erhobenen Hauptes dem Graupel entgegen.


Einen Tag lang bleibt der Schnee liegen und als M. und ich am Sonntag in Richtung Conne Island fahren, pellt sich die Sonne hinter den Wolken hervor und lächelt ihr schönstes Lächeln für uns. Beim Suppenprestige treffen wir Freunde und feuern die wagemutigen Radfahrer:innen an, die sich kostümiert und im besten Fall leicht alkoholisiert durch den verschlammten Parcours im Auwald kämpfen. Ich fühle mich leicht und stark, trinke Tee aus der Thermoskanne und denke, dass das ein gutes Leben ist.



Am Siebenundzwanzigsten beschäftigen mich schon wieder meine Haare und ich blondiere, färbe, koloriere und verliere fast die Geduld dabei. Ich war so lange Jahre krank, und die ästhetischen Aspekte meiner äußeren Erscheinung so nebensächlich, dass ich mir nun, mit der blauen Silberspülung auf dem Kopf, fast wieder wie Sechzehn vorkomme: wild und unangepasst.

Ich werde übermütig und färbe mir auch noch die Augenbrauen. Als das blond, das mir für meine Haare vorschwebt, sein Erscheinen verneint und stattdessen ein gelb-orange vorbei schickt, beschließe ich den Sack zuzumachen und die gesamte Haarpracht rosa zu färben. All in.

Am nächsten Tag besinne ich mich und nehme mir vor, wenigstens noch sechs Wochen abzuwarten, denn für chemisch bedingten Haarausfall bin ich noch nicht bereit.


Der Februar wird Achtundzwanzig, ich schreibe mein letztes Haiku für diesen Monat und denke, dass ich ganz schön viel erlebt habe, dafür, dass ich gar nicht mal so viel erlebt habe.



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