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Auf der Suche nach der eigenen Identität

„Wer bist du?“ fragst du.

„Ähm, beruflich oder privat? Politisch oder kulturhistorisch? Im Ernst, oder machen wir Smalltalk?“ frage ich irritiert zurück.


Die Verortung der persönlichen Identität scheint (erfreulicherweise) so etwas wie eine lebenslange Suche zu sein. Ein immerwährender Quell unendlicher Fragen. Etwa so, wie der süße Brei, nur anders.

Die Frage, wer ich bin und wenn ja, wie viele, beschäftigt mich. Lesen Sie darum also heute:



Ein Versuch des Herunterbrechens

Aktuell, mit 40, bin ich eine westeuropäische Cis-Frau mittleren Alters. So weit, so eindeutig. Was noch?

Ich bin Tochter meiner Mutter und Kind meines Vaters. Eine Enkelin bin ich nicht mehr, denn alle meine Großeltern sind vor langer Zeit schon gestorben.

Schon immer bin ich eine Träumerin, denn ich bin in vielen Welten zu Hause. Ich bin Sammlerin, wenn es um Erinnerungen und kleine Stehrümchen geht. Seit acht Jahren bin ich auch Patientin, inklusive fancy chronischer Erkrankung. In meinem Schrebergarten bin ich Gärtnerin. Köchin bin ich, weil ich mir jeden Tag ein warmes Mittagessen zubereite. Ich bin eine Freundin, wenn man mich braucht. Ich bin Feministin, wenn ich laut bin für die Rechte von Frauen*. Ich bin Opfer und Überlebende sexualisierter Gewalt.

Ich bin eine große Leserin und meine Büchersammlung wächst und wächst. Haushälterin bin ich, wenn ich die Wäsche der letzten drei Wochen machen muss, oder das Badezimmer putze. Ich bin Teetrinkerin. (Am liebsten Kräuter!) Zur Romantikerin werde ich in der Beziehung zu meinem Partner. Eine Spielerin bin ich beim abendlichen Scopazocken. Allerdings bin ich keine gute Verliererin.


Jetzt gerade eben, hier in diesem Moment, bin ich Bloggerin. Ich schreibe den ersten Blogartikel meines Lebens. Und da sind wir also: Ich und meine Gedanken zur ewigen Frage nach der (künstlerischen) Identität. Keine Frage ist schwerer zu beantworten. Keine leichte Antwort findet sich nirgends.


Wer bin ich?

Ich bin Sängerin, und in diesem Kontext bin ich auch Songwriterin, Komponistin und Produzentin. Ach ja, ich bin auch Buchhalterin, Social Media-Beauftragte und meine eigene Gewerkschafterin. Management mache ich auch, mitunter auch die Bandtherapie, aber nur im Notfall, am steilen Hang. „Selbst und ständig“, lachst du.

„Hm“, brumme ich.



Wer bin ich?

Ich bin Schreibmentorin, gebe Kurse in Kreativem Schreiben. Ich bin Texterin und Autorin, mache Podcast und arbeite als Model und Schauspielerin.

„Ach, echt?“ staunst du. „Dass du das alles unter einen Hut bekommst…“

„Joa, muss ja“ presse ich hervor und denke an meine prekäre Post-Covid-Soloselbstständige Künstlerinnenrealität.


Vielleicht bin ich also freischaffende Künstlerin.

Mit multiartistischer Ausrichtung könnte man sagen. Ich mache das, was mich aktuell interessiert. Schon immer und sehr zum Leidwesen meiner Boomer-Eltern.

Wenn ich brenne, dann lichterloh. Ich probiere all die Dinge aus, die meinen siebten, also kreativen, Sinn kitzeln. Und als freischaffend Kreative erfülle ich gern das namensgebende Credo meiner eigenen Generation: Why?

Mein Hang Dinge zu hinterfragen, hat mich natürlicherweise in die Selbstständigkeit getrieben. Denn nach einigen guten (bezahlte Krankheitstage) und sehr vielen schlechten Erfahrungen als Angestellte in verschiedenen Jobkontexten, entschied ich mich dafür, meine Ideen und Projekte als Künstlerin zu meinem Job zu machen. In der Selbstständigkeit suchte und fand einen Ort, an dem ich mich kreativ ausleben und selbst strukturieren konnte.

Am frühen Morgen, wenn die Welt noch schläft, in Schlafanzug und Bademantel an meinen Texten schreiben. Bis kurz vor der Nachtruhe noch an meiner Webseite arbeiten und dafür am nächsten Morgen später aufstehen. Im Winter mit dem Rad nicht durch dunkelweißen Schneematsch zur Arbeit fahren müssen. Ausgedehnte Mittagspausen mit selbstgekochtem Essen genießen.

„Ein Lotterleben“ sagst du und rümpfst die Nase.

„Ein Lebenstraum“ grinse ich und setze den Teekessel auf.


Kaffee & Cocktails

Ein Lebenslauf wie eine Einkaufsliste. Angefüllt mit Dingen, die ich irgendwann einmal ausprobiert habe und durchgestrichene Besorgungen, die mich beim letzten Einkauf nicht überzeugt haben. Mein Lebenslauf ist voller Leerstellen, schwarzer Löcher und bunter Zufallsfunde. Er ist einzigartig und zeigt all die Stolperfallen und Regenerierungsphasen, die ich brauchte, um heute da zu sein,

wo ich bin.

Ich war einmal Kellnerin in einem Café, das am Abend zur Bar wurde, und habe die absurdesten Kneipengeschichten erlebt. Und es gab Winter, da habe ich in den verschiedensten Städten Flamkuchen auf Weihnachtsmärkten gebacken und verkauft.

Als ich mit meinem alten Ford Fiesta Dinge von A nach B gefahren habe, war ich Kurierin. Tagsüber (mäßig) motivierte Studentin und abends Flyer verteilen und Plakate kleben, war mein Alltag mit Mitte 20.

Außerdem habe ich Inventuren in Baumärkten und Fahrradläden gemacht, in einem Callcenter Bestellungen entgegengenommen und als Regieassistentin in einem Leipziger Kabarett gearbeitet.




Sing me a song

Zwischen all den Brotjobs habe ich, während all dieser Zeit, immer auch Konzerte gespielt, war auf Tour oder im Proberaum. Ich habe im Studio Songs eingesungen und arrangiert, ganze Alben aufgenommen und endlos lange Stunden in Bussen und Autos verbracht, die mich zu einem Konzert oder wieder nach Hause gebracht haben.

Als achtarmige Tintenfisch-Superheroine habe ich mich gefühlt und gleichzeitig mit allen verfügbaren Bällen jongliert. Dabei habe ich mich immer wieder gefragt, was denn eigentlich der rote Faden in meinem Leben ist.



Warum ich schreibe?

Das Schreiben liegt allem, was in meinem Leben Bedeutung hat, zugrunde.

Ich würde jetzt gern sagen, dass ich mir schon als Kind immer wieder neue und spannende Geschichten ausgedacht habe, oder dass ich, seit ich einen Stift halten konnte, Regalmeter mit Tagebüchern gefüllt habe. Habe ich nicht.



Viel mehr hat das Schreiben irgendwann zu mir gefunden.

Als Kind habe ich alle Bücher gelesen, die ich finden konnte. Mit 16 wollte ich unbedingt Journalistin werden. Ich schrieb kleine Gedichte, Songs und Miniaturen in mein Tagebuch. Mit Anfang 20 hatte ich Weltschmerz und studierte Germanistik. An so vielen Abenden ging ich zu Lesungen, Poetry Slams und Konzerten. Mich faszinieren an Songs schon immer am meisten die Texte.

Zum tatsächlichen Schreiben kam ich also über die Musik.

Bald hatte ich eine Band und schrieb Texte für unsere ersten Songs.

Während ich im besagten Kneipen-Café arbeitete, schrieb ich Bargeschichten auf. Wenn ich auf Tour war, führte ich Tour-Tagebuch, um all die Anekdoten festzuhalten, die jetzt meine Erinnerungen füllen. Auf Reisen schrieb ich Reisetagebuch. Für die Uni schrieb ich Hausarbeiten. Ab und zu (aus monetärer Not) schrieb ich sogar als Ghostwriterin für andere Mitstudierende. Ich arbeitete neben der Uni stolz als freie Texterin für einen mitteldeutschen Zeitungsverlag, nahm an Redaktionssitzungen teil und verstand, dass Stadtmagazine sich größtenteils über Werbung finanzierten und meine Artikel mit der Zeit zu Werbetexten für anzeigenschaltende Großkunden wurden. So wollte ich nicht schreiben.

Meine Idee vom Schreiben ist eine andere.


Mit den Jahren habe ich im Schreiben ein zu Hause gefunden. Es ist der Ausgangspunkt fast all meiner künstlerischen Projekte. Es ist der kreative Kanal, über den ich mich zuverlässig ausdrücken kann, über den ich mich gedanklich erleichtere. Das Schreiben fordert mich. Enorm. Und es stellt mich manchmal vor schier unlösbare Aufgaben. Ich kann das Schreiben immer wieder neu für mich entdecken; nehme Perspektiven wahr, die mir vorher entgangen sind und finde Ebenen, die Sinn machen.

„Klingt nach dem perfekten Job“ überlegst du.

„Ja“ schwärme ich, „finde ich auch.“

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