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Wasted

So viel medizinischen Müll produziere ich in einem Monat als chronisch kranke Person.



"Wieviel Abfall produzieren eigentlich alle meine chronischen Erkrankungen zusammen?" habe ich mich neulich gefragt und die Idee für ein erhellendes Selbstexperiment war geboren.

Im November 2023 habe ich alles an Müll gesammelt, der durch meine verschiedenen Erkrankungen zustande kam. Mit dabei sind vor Allem Umverpackungen, also leere Tablettenblister, Kartonagen und die Überbleibsel verschiedener Pflegeprodukte, auf deren Nutzung ich angewiesen bin.


Jede:r weiß, dass wir Menschen ansich wahnsinnig viel Müll produzieren. Laut Statistik hat jede:r Bundesbürger:in im Jahr 2020 etwa 40kg Plastikmüll verursacht. Wohlgemerkt: "Nur" Plastik, dazu kommen noch viele weitere Kilogramm an Karton und Papiermüll (Onlineversand, Tageszeitung & Pizzaboxen), sowie der ganz normale Hausmüll (Restetonne) und Biomüll, wenn mensch denn klimafreundlich trennt.

Mit unseren 40kg Plastikmüll liegen wir in Deutschland übrigens EU-weit im Spitzenfeld. Nur in Irland und Ungarn fällt noch mehr Plastikmüll pro Kopf an*.


Und wie sieht das mit medizinischem Müll aus? Hier ein wenig unnützes Wissen für die Westentasche:


  1. Krankenhäuser sind mit sieben bis acht Tonnen Abfall pro Tag der fünftgrößte Müllproduzent in Deutschland. Im Durchschnitt fallen pro Tag etwa sechs Kilo je Patientin und Patient an.**

  2. Spritzen, Kanülen, Skalpelle, Lanzetten und alles, was Schnitt- oder Stichverletzungen hervorrufen kann, gehört in extra sichere und fest verschließbare, sowie durchstichsichere Behälter.**

  3. Blut und Blutprodukte, aber auch Körperteile und Organe werden in der Sondermüllverbrennung entsorgt.**


Ok, aber wie ist das nun mit medizinischem Hausmüll?

Im Folgenden könnt ihr meine kleine heimische Müllanalyse nachvollziehen. Außerdem war ich noch neugierig auf die finanzielle Mehrbelastung, die sich aus meiner regelmäßigen und notwendigen Medikamenteneinnahme für mich ergibt.

Let's go:


Insgesamt habe ich in einem Monat verbraucht:


  • 18 Tablettenblister, davon:


3x Schildrüsentabletten: insgesamt 30 Stück (Eine pro Tag)

2x Schmerztabletten: ingesamt 4 Stück (bei Bedarf eingenommen)

7x Antidepressiva: insgesamt 70 Tabletten (Zwei bis drei pro Tag)

2x Infektprävention: insgesamt 50 Tabletten ( Vier pro Tag innerhalb von 14 Tagen)

4x Magenschutz: insgesamt 30 Tabletten (Eine pro Tag)


  • 5x Kartonverpackungen

  • 2x Pflasterprodukte (Wärmepflaster gegen Muskelverspannungen)

  • 30x Pulvertütchen (Eins am Tag gegen Ostipation)

  • 1x Creme-Spender (zur Behandlung von Rosacea)


Bleiben wir erstmal bei den Tabletten: Im November 2023 habe ich also insgesamt 184 einzelne Tabletten geschluckt. 50 davon waren pflanzliche Präperate zur Infektprävention, da ich durch meine Autoimmunerkrankung einfach schneller krank werde als andere Menschen. Es bleiben also, streng medizinisch gesehen, 134 absolut notwendige Pillen pro Monat übrig. Das sind vier bis fünf Tabletten pro Tag. Hinzu kommt noch täglich eine Verhütungspille (+30 für November) und eine Auswahl an Nahrungsergänzungsmitteln, die meinen Körper unterstützen sollen, mit all dem Murks fertig zu werden. Mit dabei sind u.a.:


  • Selen, zur Unterstützung der Schilddrüse (1 Kapsel pro Tag)

  • Magnesium, zur Unterstützung meiner konstant verkrampften Muskulatur (2 Kapseln pro Tag)

  • hochdosiertes Vitamin C, zur Unterstützung des Immunsystems (1 Kapsel pro Tag)

  • Zink, zur Unterstützung des Immunsystems (1 Kapsel pro Tag)

  • Probiotika, zur Unterstützung einer geregelten Darmtätigkeit (1 Kapsel pro Tag)

  • Vitamin B Komplex, für Immun- und Nervensystem (1 Kapsel pro Tag)




Aktuell schlucke ich also pro Tag 11-12 Tabletten, allein aufgrund meiner chronischen Erkrankungen. Leider sind wir damit noch lange nicht am Ende, denn zu den Tabletten kommen noch tägliche Pülverchen gegen Verstopfung, Schmerztabletten bei Bedarf, Wärmepflaster gegen die permanenten Muskelverspannungen und medizinische Pflegeprodukte, wie z.B. spezielle Cremes und Seren für meine Rosacea-Haut und ein spezielles Shampoo gegen meine Schuppenflechte. CBD- und Vitamin D3-Tropfen machen die illustre Runde komplett.

Klingt viel? Ist auch viel!


Nach meiner kleinen Rechnung bin ich absolut entsetzt, wie viel Stoffe ich täglich zu mir nehmen muss, damit mein Körper halbwegs normal funktioniert.

Inklusive Nahrungsergänzungsmittel schlucke ich im Monat ca. 360 Tabletten. Im Jahr macht das eine Summe von 4320 Pillen. All diese Substanzen rauschen täglich durch meinen Körper, werden durch meine Organe gefiltert, teilweise wieder ausgeschieden und sind eine irre Zusatzbelastung für mein körperinternes Entgiftungssystem (Leber & Niere), obwohl sie mir dabei helfen mit meinen Erkrankungen zu dealen, mich besser zu fühlen und meine Krankheitssymptome in Zaum halten.

Ganz schön heftig.


Und was kostet der Spaß?


Nur drei meiner täglichen Tabletten sind verschreibungspflichtig, für sie zahle ich "nur" den Zuzahlungsbetrag von je 5€ (Antidepressiva & Magenschutz) und 23€ (Schilddrüsentabletten) pro Packung. Eine Packung Antidepressiva hält einen Monat, Magenschutz und Schilddrüsenpräparat jeweils drei Monate.


Rechne ich meine selbstfinazierten Nahrungsergänzungsmittel, Medikamente, Tropfen, Schmerztabletten, Wärmepflaster und Pflegeprodukte zusammen, wird mir Himmelangst und ich frage mich, ob ich beim Jobcenter mehr Geld für meine speziellen medizinischen Bedürfnisse beantragen kann? Weiß das jemand? Schreibts mir gern unter dem Beitrag in die Kommentare. Danke!


Gerechnet habe ich alle Preise, ob Zuzahlung oder voll, jeweils pro Tablette bzw. Tropfen oder Pülverchen. Heraus kommt ein Betrag von 3,60€, den ich jeden Tag für meine Medikamente zahle. Auf den Monat gerechnet sind das 108€. Aufs Jahr macht das eine Summe von 1296€, die ich aufgrund meiner chronischen Erkrankungen mehr ausgeben muss, als gesunde Menschen. WTF?!

Und falls sich das gerade jemand fragt: das Bürgergeld liegt übrigens aktuell noch immer bei 502€/Monat im Regelbedarf.

Und da stellt sich dann auf einmal die Frage: will ich endlich mal wieder in den Urlaub fahren oder will ich ohne Schmerzen und halbwegs auf der Höhe meinen Alltag bewältigen können? Die Frage, die keine ist, beantwortet sich ganz schnell: Würde ich meine Medikamente nicht täglich nehmen, könnte ich nicht nur nicht in den Urlaub fahren, der Urlaub würde wahrscheinlich auch potentiell tödlich enden. Ich bin also, wie unendlich viele andere Betroffene, chronisch Kranke oder Menschen mit Behinderungen, auf meine täglichen Medikamente angewiesen. Uff.


Eigentlich wollte ich ja nur ein bisschen Müll zählen. Doch mit meinen Rechnungen und Preisrecherchen bin ich ehrlich geschockt, wieviel mehr belastet ich finanziell bin, als jemand der gesund ist. Wie soll ich von meinem schmalen Bürgergeld noch 108€ jeden Monat abziehen, die ich nur für medizinische Produkte einplanen muss? Wie machen das andere von Armut betroffene Menschen?


Und hier wird die Diskussion auf einmal hochpolitisch, denn offensichtlich muss man sich krank sein in diesem Land und in diesen Zeiten auch leisten können.

Die viel beschworene Schere zwischen arm und reich geht seit Jahrzehnten immer weiter auseinander. Reiche Menschen werden reicher, während arme Menschen oft keine Möglichkeit haben, sich selbst aus der Armut zu befreien. Warum? Weil Armut in Deutschland ein strukturelles Problem ist, das oft weitervererbt wird und die gerne zitierte kapitalistische Mär "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" einfach grundlegend falsch ist.


Wer dazu mehr wissen möchte, den lade ich ein, diese zwei kostenlosen Artikel im Freitag, zu lesen:



Außerdem könnt ihr euch HIER meine kleine (und stetig wachsende) Fotostrecke "Pretty Wasted" zum Thema Müll anschauen.


Habt ihr Fragen und Anmerkungen? Diskutiert gern in den Kommentaren, denn #sharingiscaring 💖

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Quellenangaben:

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