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Der poetische Monatsrückblick - März 2023

Autorenbild: Ulrike LichtenbergUlrike Lichtenberg

Eine literarische Rückschau auf all die März-Dinge, die ich erlebt, gelernt und geliebt habe. Meinen poetischen Monatsrückblick gibt es immer am letzten Tag eines jeden Monats.



Große Aufregung am Ersten März. Ich bewerbe mich am DLL, natürlich zum letztmöglichen Abgabetermin! Viele Jahre schon ist es mein großer Traum am Deutschen Literaturinstitut zu Leipzig, Kreatives Schreiben zu studieren. Ich verbringe also den Tag mit Lesen, Aussuchen, Schreiben, Redigieren und treffe am Ende eine Textauswahl, die sich valide anfühlt.

Ein großer Stolz überkommt mich, als ich den großen braunen Briefumschlag in der Postfiliale abgebe. Im Geiste mache ich einen Haken auf meiner Bucket List und weiß schon jetzt, dass mein persönlicher Sieg über mein Impostor-Syndrom, im Falle einer Ablehnung, mehr wiegt, als ein Studienplatz.


Der nächste Tag ist leise, zart und langsam. Ich vertrödele am Vormittag sorglos meine Zeit, am Nachmittag entdecke ich im Garten die alte Rhabarberwurzel, die im letzten Herbst dem Pfirsichbaum-Setzling weichen musste. Sie hat ausgetrieben und wird von mir als Belohnung für so viel Überlebenswillen, tief in ein freies Eckchen Erde gesetzt.


Das erste März-Wochenende soll eine Grenzerfahrung auf vielen Ebenen werden: ich fahre nach Zeitz, um an einem Fortbildungswochenende der Amadeu Antonio Stiftung teilzunehmen. Neben sieben anderen Teilnehmenden bin ich ausgewählt worden, mich als Teamerin in der politischen Jugendarbeit ausbilden zu lassen, um künftig Workshops an Schulen und für Vereine zu geben.

Mit dem Rad und dem Zug fahre ich nach Zeitz und finde nach einigen wenigen Anstrengungen die alte Nudelfabrik. Die "Nudel" ist phantastisch. Eine wiederbelebte Industriebrache mit enormem Charmepotential, eingerichtet mit modernem Bling Bling und authentisch durch viele ursprüngliche, ranzige Fabrikecken. Die Schulungsräumlichkeiten sind ausladend und wahnsinnig gemütlich, mit vielen Sofas, Kissen und cozy Breakout-Areas.

Das gesamte Wochenende ist intensiv, inhaltlich und methodisch vollgepackt, anstrengend und wahnsinnig schön. Ich genieße es in den Austausch mit den anderen Teilnehmenden zu gehen, lerne neue Menschen kennen, lache viel und diskutiere eifrig.

Mit meiner Gesundheit steht es mal wieder nicht zum Besten, also strengt mich das Wochenende noch mehr an, als es das sowieso schon getan hätte. Ich habe einen kleinen Moment der Wut, als mir einmal mehr klar wird, wie anders mein Leben durch die Krankheit geworden ist und das mein Wohlbefinden fragil, mein Allgemeinzustand selten stabil ist. Doch chronischen Schmerzen und dauerhaftem Unwohlsein zum Trotz, habe ich an diesem Wochenende ein kleines Wunder erlebt: Ich habe die Kraft des eigenen Willens gespürt und die Zuversicht geatmet, dass sich schon alles irgendwie ergeben wird.



Am Siebten März fällt der Schnee in dicken Flocken von einem dunkelblauen Abendhimmel und M. und ich machen einen Schneespaziergang, um Frau Holle unseren Tribut zu zollen.

Am nächsten Tag wird der Schnee zu Regen und ich frage mich: Wohin gehen eigentlich die geträumten Dinge?


Am Zwölften März schreibe ich einen Brief und am Dreizehnten kaufe ich rosa Tulpen für meinen Schreibtisch. Ich bereite meinen E-Mail-Kurs "Frühlingsschreiben" vor und die Sonne schickt mir eine gelbe Umarmung, die auf dem Dielenboden warm zerfließt.



Am kommenden Wochenende findet wieder ein Schreib-Retreat im Gartenhaus statt und ich schreibe mit meiner Gruppe kleine Frühlingsminiaturen in blau und kirschblütenrosa.



Am Einundzwanzigsten März stirbt eine Kohlmeise, ich fange ihren Schatten auf, bringe sie in den Garten und bette sie zur letzten Ruhe.

Einige Tage später spazieren M. und ich guten Mutes eine große Runde durch den Westen Leipzigs. Wir ernten Bärlauch im Park und die Forsythien strahlen gelb, wie die Sonne. An einem Freitagabend gehen wir ins UT, um Meret Becker & The Tiny Teeth zu erleben: das grandioses Bühnenbild hat mehr versprochen, als am Ende von der Band eingehalten wurde. Trotzdem war der Abend schön, lila und besonders.



Ein arbeitsreicher Ausflug am letzten März-Wochenende sichert uns Brennholz für den nächsten Winter und Muskelkater in den Armen.

Im Garten stehen die Traubenhyazinthen bei drei bis sieben Grad Celsius in einem nasskalten Blumenbeet und in der letzten blauen Stunde für März, schreiben wir kleine wütende Texte zu Glückskeks-Plattitüden.


Mein März endet mit einem gemütlichen Abendessen bei Freunden: wir kochen gemeinsam, trinken Wein und Tee, hören "Flightless Bird, American Mouth" und ich denke, dass das Leben doch ganz schön schön sein kann.






1 comentario


Invitado
07 jun 2023

So schön! Ich liebe deine Monatsrückblicke sehr.

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